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Verbandsnachrichten

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Segeln lernen fürs Leben

„Hat von Euch schon mal jemand Rasen gemäht“? fragt Sophie Geiger in die Runde. Doch wie man mit einem kräftigen Ruck am Seilzug eines Benzinmotors diesen zum Laufen bekommt, ist keinem der vier Neuntklässler bekannt. Aufmerksam verfolgen sie Sophies Anleitung zum Starten des Außenbordmotors an Bord ihrer „Valk“, nachdem sie bereits gelernt haben, wie man eine Klampe belegt, den Mast legt und einen Anker ausbringt, ohne ihn für immer auf dem Grund zu versenken.

Seit 32 Jahren geht das Bismarck-Gymnasium Karlsruhe mit seinen neunten Klassen segeln. Dabei hebt sich die traditionsreiche Veranstaltung von den üblichen Segelfreizeiten, bei denen für die Schüler nur ein Plattbodenboot gechartert wird, deutlich ab.
Auf einem Geflecht von Seen und Kanälen, der Sneeker Seenplatte im holländischen Friesland, segeln die Schüler tagsüber in einer Flottille von sechs bis acht „Falken“, einer traditionellen friesischen Kielbootklasse um am Ende des Tages ihren Plattboden-Klipper namens „Poolster“, den Polarstern zum Abendessen und übernachten zu treffen.
Der nimmt die Schüler nach ihrer Anreise im Bus zunächst in Sneek an Bord, wo sie mit den wichtigsten Verhaltensregeln auf ihrem Mutterschiff vertraut gemacht werden. Denn vieles, was für einen Segler selbstverständlich ist, ist weit entfernt von der Lebensrealität der 15-Jährigen.
Nach dem Frühstück wird eine theoretische Grundlage für die anstehende Tagesetappe auf der „Valk“, dem Falken geschaffen. Ist auf der Route hauptsächlich Wind von Achtern zu erwarten, setzt sich der Theorieblock mit der Halse auseinander. Wird der Tag von einer Kreuz bestimmt, weiß jeder Schüler, bevor er sein Boot besteigt, zumindest theoretisch wie man gegen den Wind segelt und wie das entsprechende Manöver funktioniert. Denn die Schüler sind Laien und bringen bis auf wenige Ausnahmen keine Segelkenntnisse mit. Vertieft wird die Theorie nochmals an Bord des Falken, bevor die Segel gesetzt werden und zum nächsten Tagesziel ausgelaufen wird.

Da die theoretischen Grundlagen immer situativ, also im Zusammenhang mit der Wasserpraxis erarbeitet werden, das Revier beste Segelbedingungen bietet, und sich ein Lehrer auf drei bis maximal vier Schüler konzentrieren kann, ist die Lernkurve extrem steil. „Die Jugendlichen beherrschen nach den fünf Tagen, die sie aktiv auf dem Wasser verbringen, so viel wie nach zehn Tagen in einer herkömmlichen Segelschule“, glaubt Malte Drescher, Organisator der Veranstaltung, selbst erfahrener Fahrtensegler und Prüfer des Deutschen Seglerverbandes für Binnen- und Küstenscheine. Dabei ist das Segelrevier außerordentlich anspruchsvoll und stellt hohe Ansprüche an die Navigation durch das Labyrinth der winzigen Kanäle, die die Seen miteinander verbinden. In diesem Jahr war es sehr windig, die Tagestouren wurden den Windverhältnissen angepasst und oft wurde in den schmalen Kanälen nur abgelaufen. „Wir mussten an einem Tag unter sechs Brücken hindurchfahren und somit sechsmal den Mast legen und stellen“, sagt Sophie.
Doch viele Erlebnisse entschädigen für solche Mühe. Unter Segeln auf einem Aquädukt die Autobahn zu überqueren, findet selbst Sophie bis heute faszinierend. Und war der Wind zu viel, wurde er kurzerhand in einer Sägemühle abgewettert, wo die Erklärungen des Betreibers das Sturmtief in ein kulturelles Highlight verwandelte.
Malte Drescher, Inhaber eines Lehrstuhls für physikalische Chemie an der Universität Konstanz, organisiert und begleitet die Veranstaltung seit er sie vor acht Jahren von seinem Vorgänger übernommen hat. Als sich dieser in den Ruhestand verabschiedete, drohte der Tradition das Aus. Das konnte und wollte der ehemalige Schüler des Bismarck-Gymnasiums, und selbst in der neunten Klasse auf einem Falken vom Segelvirus infiziert, nicht zulassen. Neben den schnellen Lernerfolgen beim Segeln weiß er vor allem die pädagogischen Nebenwirkungen zu schätzen. Die Crews für die sechs bis acht Boote werden täglich neu ausgelost. „Keiner kann das Boot alleine bewegen und muss zwangsläufig mit der Crew interagieren“, sagt er und beobachtet, dass diese Situation für die meisten Jugendlichen eine völlig neue Erfahrung ist. „Wenn ich ein Abendessen und ein Bett haben will, muss ich mit den anderen zum vereinbarten Ort segeln“, schildert er die Erkenntnis der jungen Einzelkämpfer. Daran ändert weder die Windrichtung noch der Regen, geschweige denn die persönliche Befindlichkeit etwas. Und ist man einmal mit nassem Hintern einen ganzen Tag lang auf dem Boot gesessen, lernt man, sein Regenzeug schon morgens anzuziehen, wenn der Trainer bereits im Ölzeug an Bord anzutreffen ist.
Auch abends sitzen wieder alle im selben Boot und werden mit knappen Ressourcen konfrontiert. So können die geliebten Smartphones nicht unentwegt geladen werden, das Dusch-Erlebnis ist zeitlich begrenzt und das Platzangebot lässt keine Unordnung zu. Zwar reisen, so Drescher, viele mit einer eher negativen Erwartungshaltung an, diese verwandle sich jedoch nach kurzer Zeit in pure Begeisterung und die Segelfreizeit wird später nicht selten in der Abi-Zeitung als schönstes Erlebnis während der Schulzeit beschrieben. Ein Effekt, den auch Sophie bestätigen kann. „Müssen wir schon nachhause fahren? Können wir nicht noch ein paar Tage bleiben?“ seien häufige Reaktionen am Abreisetag.2018 10 17 friesland6

Ermöglicht wird ein solches unvergessliches Erlebnis für jährlich drei Parallelklassen von einem Team von acht Segellehrern, zwei Köchen und Malte Drescher als Leiter, die ihre Leistung allesamt ehrenamtlich erbringen. Damit das Projekt für alle drei Klassen nacheinander stattfinden kann, wechseln sich die Trainer bei jeder neu eintreffenden Klasse aus einem Pool von 15 Seglern ab. Diese kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen des Segelsports, sind Nachwuchs-Jollentrainerin oder Dickschiffkapitän, 19jährige oder Sonderschullehrer in Pension. Verstärkung ist herzlich willkommen.
Auch für die Trainer stellt das Revier, die ungewohnte Bootsklasse und das Segeln mit einer jugendlichen Crew oftmals eine Herausforderung dar, bietet aber auch jede Menge Spaß. „Wir erleben täglich Dinge, die wir noch nie erlebt haben, sitzen abends zusammen und können darüber herzlich lachen“, schildert Sophie ihre Begeisterung für die Veranstaltung und freut sich immer wieder - neben der Arbeit mit den Jugendlichen - darauf, die anderen Trainer zu treffen, täglich selber zu segeln, die Landschaft zu genießen, und dabei abends die Verantwortung an die begleitenden Lehrer abgeben zu können. „Das ist ein toller Urlaub, den man mit netten Menschen verbringt“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni Konstanz. Und das für einen geringen Unkostenbeitrag.
Nicht nur die ehrenamtlichen Helfer, auch der junge Skipper des 36 Meter langen Klippers legt sich für das Projekt ordentlich ins Zeug. Normalerweise im Ijssel- und Wattenmeer unterwegs, verlegt er den Zweimaster in die Sneeker Seenplatte, wo der Riese mit den Seitenschwertern teilweise nur mit Tauen um die Biegungen der schmalen Kanäle gezogen werden kann.
Ein Kraftakt, der bei aller Sympathie nicht kostenlos ist. 450 Euro kostet der sechstägige Segelspaß inklusive An- und Abreise, Vollpension und Chartergebühr für den Klipper und die Falken jeden einzelnen Schüler. Das ist eine Menge Geld, die nicht alle Familien aufbringen können. Um keines der Kinder zu benachteiligen, ist ein Förderverein entstanden, der auf einen formlosen Antrag der Eltern hin, die Kosten ganz oder zur Hälfte übernimmt. Das Besondere dabei: Weder der Schüler, noch Lehrer oder Trainer wissen, wer gesponsert wird. Die Zuwendung erfolgt vollkommen anonym. Und so haben nach einer Woche Geschirrabwaschen, Tischdecken, Toilette putzen und Deck schrubben alle nicht nur segeln gelernt, sondern auch viel Lebenserfahrung gewonnen.

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